Wie weiter mit der Vorsorge?

11. März 2025

Megatrends wie demografische Alterung, Individualismus oder brüchige Solidarität zwischen den Generationen prägen die langfristigen Herausforderungen der Vorsorge. Doch die Branche hat auch weniger epochal klingende Baustellen: von den (wieder) tiefen Zinsen über den Kosten und Konsolidierungsdruck bis zum Reformstau nach den Abfuhren an der Urne von 2017 und 2024.

Der Dreiklang aus gesellschaftlichem, technischem und demografischem Wandel wird als Hintergrundmusik die nächsten Jahrzehnte begleiten. Neben spannenden neuen Akkorden, etwa in der Definition von Familie oder Arbeit, werden dabei auch Misstöne unvermeidlich sein. Hohes Potenzial zur Kakofonie liefert dabei die Überlagerung von gesellschaftlicher Alterung und Individualisierung: Während unser Leben immer länger wird, wird der Nerv für Solidarität zwischen den Generationen immer kürzer.

Bedeutungsverslust Hinterlassenenvorsorge
Selbstverwirklichung als Megatrend klingt gut – wer möchte nicht der eigenen Entfaltung mehr Bedeutung geben. Das mit der abnehmenden Solidarität dagegen ist ein zweischneidiges Schwert. Man weiss nie, auf welcher Seite man dereinst stehen wird: auf jener, die Solidarität empfängt, oder jener, die Solidarität produziert. Im Zuge der sich abzeichnenden Individualisierung wird der gesellschaftliche Zusammenhalt neu verhandelt, Solidarität wird neu bewertet. Dabei geht es im Privaten um die Solidarität gegenüber Angehörigen. So könnte etwa die Hinterlassenenvorsorge für Ehepartnerinnen und Ehepartner aufgrund vermehrter Erwerbstätigkeit beider Geschlechter an Bedeutung verlieren. Auf öffentlicher Ebene, also in der «Risikogemeinschaft» mit den übrigen Versicherten, dürfte die Bereitschaft zur Mitfinanzierung von Leistungsgarantien schwinden. Umverteilungseffekte im heutigen Umfang in der zweiten Säule werden immer weniger toleriert werden. Die über noch immer zu hohe Umwandlungssätze garantierten Renten bedingen nach wie vor eine Umverteilung von den aktiv Versicherten zu den Bezügern einer Altersrente. Damit befindet sich das System auf Konfrontationskurs mit den Forderungen nach einem selbstbestimmten Leben, in dem Anspar- und Entsparphase in der Vorsorge durch die versicherte Person bestimmt werden sollen.

Mehr Selbstverantwortung – auch in der Vorsorge
Die Digitalisierung ermöglicht eine Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort und damit eine bessere Abstimmung der Arbeitssituation auf individuelle Bedürfnisse. Die Bindung zum Arbeitgeber nimmt ab und Teilzeitarbeit wird immer wichtiger werden. Tiefe Einkommen aus mehreren Teilzeitjobs werden künftig besser versichert sein müssen. Die Anzahl der Mikrounternehmerinnen und Mikrounternehmer, die gleichzeitig für mehrere Arbeitgeber arbeiten, wird ebenfalls zunehmen, immer mehr Personen werden selbständig erwerbend arbeiten. Das Vorsorgesystem wird vermehrt an die versicherte Person gebunden sein müssen, die Verantwortung zur Organisation der beruflichen Altersvorsorge wird vom Arbeitgeber zur erwerbstätigen Person selbst übergehen.

Langlebigkeit «beisst» sich mit Solidaritätsabbau
Noch länger als der digitale begleitet uns schon der demografische Wandel. Ein immer grösserer Teil der Gesellschaft lebt immer gesünder und länger. Gleichzeitig wird die Zahl von Menschen mit Pflegebedürftigkeit und Behinderung zunehmen. Das Thema der Langlebigkeit wird eine der grössten Herausforderungen nicht nur für das Gesundheitswesen, sondern auch für das Vorsorgesystem sein. Konkret davon betroffen sein dürften Pensionsalter, Umwandlungssatz und garantierte Leistungen – der Kreis zum Trend von Individualisierung und abnehmender Solidarität schliesst sich: Der Fokus auf die Selbstverwirklichung des Einzelnen auf der einen, mehr ältere Menschen, die potenziell Unterstützung brauchen, auf der anderen Seite. Der arbeitende Teil der Bevölkerung wird einer stetig wachsende Zahl Rentenbeziehern gegenüberstehen. Dies könnte den Trend bei aktiv Versicherten verschärfen, die Renten anderer nicht mehr subventionieren zu wollen.

Pensionskasse nach der Pension
Die demografische Entwicklung bringt nicht nur Spannungen zwischen der Verzinsung von Altersguthaben aktiv Versicherter und den garantierten Renten für immer mehr Pensionierte. Auch am Arbeitsmarkt sorgt der Rückzug der Babyboomer-Generation für einen strukturellen Bruch: Die Lücken, die sie hinterlassen, sind nur schwer mit jungem Fachpersonal zu füllen. Unternehmen wittern daher auch bei den älteren Generationen Morgenluft: Würden diese über das Pensionsalter hinaus arbeiten, könnte die Erwerbsquote in der Bevölkerung ebenfalls erhöht werden – und ein grosses Reservoir an Erfahrung bliebe erhalten. Die AHV 21 hat vorgespurt, das Pensionsalter wurde flexibilisiert. Ein Top-Thema für Vorsorgeunternehmen wird daher die Versicherung der arbeitenden Bevölkerung nach dem Referenzalter sein – die Menschen bleiben immer länger gesund, sehen in ihrer Arbeit immer mehr Sinnstiftung und werden entsprechend immer länger arbeiten.

Konsolidierungsdruck: Der Trend zur Sammelstiftung
Die Zahl der Vorsorgeeinrichtungen sank 2023 gemäss Pensionskassenverband ASIP um 1,1 Prozent. Der von steigender Komplexität des Geschäfts, verstärkter Regulierung und Effizienzdruck geprägte Konzentrationsprozess wird anhalten. Unterdessen sind 72,8 Prozent der aktiven Versicherten einer grossen Vorsorgeeinrichtung von mindestens 10000 Versicherten angeschlossen. Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen, denen sich mehrere Arbeitgeber anschliessen, vereinen fast 74 Prozent der Versicherten auf sich. Dank Professionalität, Kosteneffizienz und Flexibilität bieten Sammelstiftungen gerade kleinen und mittelgrossen Unternehmen eine Alternative zur firmeneigenen Pensionskasse. Denn sie bündeln die Vorsorgegelder mehrerer Unternehmen und sparen damit Kosten.

Reformen: Gescheiterte BVG-Reformen 2017 und 2024 – was nun?
Die zweite Säule (BVG) wird durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge sowie vom Ertrag finanziert, der mit dem angesparten Kapital der Versicherten an den Finanz- und Immobilienmärkten erzielt wird. Dieser «dritte Beitragszahler» schwächelt seit der Finanzkrise von 2008, nach der die Zinsen zur Ankurbelung der Wirtschaft gesenkt wurden. Dabei würde die steigende Lebenserwartung verlangen, dass mehr für die lebenslangen Renten auf die Seite gelegt werden kann. Dieser Zangengriff zwischen tieferen Verdienstmöglichkeiten am Kapitalmarkt und demografischer Alterung ist nicht neu. Der Umwandlungssatz ist seit langem zu hoch, um die garantierten Renten der Pensionierten durch das Restkapital und die Marktzinsen finanzieren zu können. 2017 wurde eine entsprechende Reform vom Volk abgelehnt. Im März 2023 wurde die BVG 21 vom Parlament verabschiedet. Doch im Juli desselben Jahres wurde das Referendum dagegen ergriffen, im September fiel die Reform an der Urne durch.

Wie weiter?
Aufgrund der Ablehnung der Reform durch das Volk und dem nach wie vor vorhandenen Reformbedarf, müsse der Bund nun über die Bücher, schreibt etwa die UBS in einer Analyse. Es stehe in der Verantwortung des Bundes, einen neuen Vorschlag zu erarbeiten, wobei sowohl die Pro- als auch die Kontra-Argumente für die jetzt abgelehnte Reform in der Diskussion berücksichtigt werden sollten. Weil die Umwandlungssätze für bereits pensionierte Generationen verbindlich versprochen wurden, wird bis dahin weiterhin Geld aus dem Anlageertrag zur Verstärkung der Rückstellungen für die garantierten Renten fliessen. Denn 2024 sind die Zinsen – nachdem sie 2023 moderat gestiegen waren – bereits wieder gefallen. Im Dezember des vergangenen Jahres senkte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Leitzins auf 0,5 Prozent, einen Schritt von den Nullzinsen entfernt.

Der Verband der Pensionskassen
Der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP mit Sitz in Zürich ist der Dachverband für mehr als 900 Pensionskassen und steht für die Interessen der Pensionskassen gegenüber Politik und Öffentlichkeit ein. Er vertritt nach eigenen Angaben rund zwei Drittel der Versicherten in der beruflichen Vorsorge. Der ASIP setzt sich für das Drei-Säulen-System ein.