Steil gehen – anlegen nach dem Zinsanstieg

Donnerstag, 16. Febr. 2023

Die Zinskurve hat sich gedreht und um sie herum die ganze Welt: Denn an den Zinsen orientiert sich die Bewertung sämtlicher Wertschriften. Verlangte Anlegen im Tiefzinsumfeld gewagte Ideen, müssen Anleger sich wieder mit den alten Gesetzen der Schwerkraft vertraut machen, nachdem diese dank billigem Geld der Zentralbanken über ein Jahrzehnt lang ausser Kraft gesetzt schienen. Den Eintritt in den Orbit verkraften nicht alle gleich gut.

Sie bewegten sich schliesslich also doch noch, die Zinsen und Renditen. Vor allem für längere Laufzeiten sind die Sätze nach über einem Jahrzehnt im Permafrost der «Nullzinsen» vergangenes Jahr wieder gestiegen. Wer Geld für längere Zeit ausleiht, bekam wieder deutlich höhere Zinsen für seinen Trennungsschmerz, als wenn er nur einen kurzfristigen Kredit gewährte. Im Fachjargon: die Zinskurve, die die Verzinsung für verschiedene Laufzeiten von Krediten angibt, wurde steiler.

Hauptgrund für den Zinsanstieg war die zunehmende Inflation. Die Geldentwertung durch den allgemeinen Preisanstieg ist nämlich eine Komponente des Nominalzinses. Denn wer Geld ausleiht und weiss, dass sein Geld später, wenn er es zurückbekommt, weniger wert sein wird, will auch dafür über den Zins kompensiert werden.

Inflation: ein hartes Stück Arbeit
Die Zentralbanken haben lange daran gearbeitet, die Zinsen tief zu halten, um eine Deflation zu verhindern – also ein schädliches Abdriften der Wirtschaft in einen Zustand, in dem die Preise unaufhaltsam fallen. Für die Finanzbranche war das nicht immer einfach. Normale Geschäftsbanken zum Beispiel leben von der sogenannten Fristentransformation: Sie nehmen Geld zu kurzfristigen (tieferen) Zinsen auf und leihen es langfristig an Unternehmen und Private aus, wofür sie dann einen höheren Zins verlangen können. Wegen der Nullzinspolitik der Zentralbanken war dieses Geschäft über zehn Jahre lang erodiert.

Und auch bei den Sparern hörte man immer wieder von ihrer «Enteignung» durch die Zentralbanken, weil sie für ihr Geld im besten Fall nichts erhielten, in einem weniger günstigen dank Negativzinsen sogar Gebühren zahlen mussten. Nur, bevor man sparen kann, muss man einen Job haben. Und genau daran arbeiteten die Notenbanken: den Einbruch während Finanz- und Eurokrise so stark abfedern wie möglich, die Arbeitslosigkeit tief halten. Von beidem – den tiefen Zinsen und damit billigen Krediten und der relativ robusten Wirtschaft - profitierten am meisten die Aktienmärkte und die Immobilienpreise.

Mit anderen Worten: Im von Deflationsängsten geprägten Jahrzehnt nach Finanz- und Eurokrise wurde die Inflation herbeigesehnt wie Regen in einer Dürre, doch die Regenmacher der Zentralbanken schienen machtlos.

Als sie dann da war
Seit die Teuerung da ist, wird den Notenbanken vorgeworfen, den Menschen Kaufkraft gestohlen zu haben. Doch «richtige» Inflation gab es genau genommen erst im Zuge der Pandemie, als die in früheren Krisen (etwa in der Finanzkrise) fiskalpolitisch eher zurückhaltenden Staaten anfingen, die expansive Geldpolitik mit üppigen Staatsausgaben zu flankieren. Der Staatssektor sprang durch Mehrausgaben in die Lücke jener, die jetzt weniger ausgeben konnte, nämlich Unternehmen und Haushalte, und kurbelten so die Konjunktur an – bis diese zu überhitzen drohte. Die Preise für Güter und Dienstleistungen begannen zu steigen. Irgendwann verlangten daher die Angestellten mehr Lohn – was die mit ihrer Hilfe produzierten Produkte nochmals verteuerte. Die Lohn-Preisspirale begann, die Zentralbanken als Hüter der Preisstabilität nervös zu machen. Weiter beigetragen zur Inflation hat der Angebotsschock bei den Energiepreisen durch die Ukrainekrise sowie noch immer durch den Lieferketten-Schluckauf als Nachwehen aus akuten Phasen der Corona-Zeit.

Nach dem Inflationsschock, der Zinsschock
Die Zentralbanken haben seit Mitte 2022 angefangen, ihre Leitzinsen zu erhöhen, um insbesondere jenen Teil der Inflation abzukühlen, der konjunkturell bedingt ist: Indem die Unternehmen wieder höhere Kreditkosten haben, sinkt ihre Investitionsfreude. Auch für die Haushalte ist ein Leben auf Pump weniger attraktiv, es werden weniger Güter mit Krediten finanziert, auch die Nachfrage nach Immobilien kühlt sich ab. Eine Überhitzung der Wirtschaft soll vermieden werden.

Die Zinsanhebungen haben 2022 sowohl Obligationen – ihr Preis fällt, wenn die Zinsen steigen – als auch Aktien getroffen. Börsen mögen hohe Zinsen nicht, denn billige Kredite und kaum Zins auf dem Sparkonto leitet viel Geld in Wertschriften mit höherem Risiko um, ganz besonders in Aktien. Seit dem Zinsanstieg in der zweiten Jahreshälfte 2022 mussten die Aktienmärkte denn auch herbe Verluste hinnehmen. Besonders hart traf es den Technologiesektor, nachdem er lange Jahre als Lokomotive des Börsenbooms galt, vor allem in den USA.

Balsam für Banken
Ende Januar hob die US-Notenbank Fed die Leitzinsen auf ein Zielband von 4,5 bis 4,75 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit 2007. Anfang Februar markierte die Europäische Zentralbank (EZB) denselben Rekord, indem Sie den Leitzins auf 3 Prozent hievte. Auch wenn sich seit Anfang Jahr die US-Zinskurve zeitweise wieder in die andere Richtung gedreht hat und lange Zinsen gegenüber kurzfristigen Sätzen etwas zurückgekommen sind: Die Zinsen waren seit Jahren nicht mehr so hoch.

Das ist Balsam für die Banken, da ihr primäres Geschäftsmodell – die Fristentransformation – wieder anlaufen kann. Doch auch Pensionskassen und Lebensversicherer können mittelfristig von normalisierten Zinsen profitieren und wieder mit mehr Ertrag in festverzinsliche Wertschriften anlegen. Fast wichtiger aber: Durch die höheren Zinsen fallen künftige Verpflichtungen rechnerisch weniger ins Gewicht, da sie stärker abdiskontiert werden.

Gute Zinsen, schlechte Zinsen – der Blick auf die Börse
Höhere Zinsen brachten also nicht nur Verlierer. Und es gibt eine weitere gute Nachricht für Anleger: Die Suche nach Rendite, die sie zwang, sich immer weiter auf die Risikoäste hinauszulassen, ist etwas weniger verzweifelt geworden. Sogar festverzinsliche Anlagen werfen selbst bei soliden Schuldnern wieder Zins ab. Real sind die Zinsen allerdings trotz allmählich zurückgehender Inflation immer noch wenig berauschend. Ein Blick auf die Börsen lohnt sich also doch.

Der jüngste Optimismus an den Börsen geht zudem darauf zurück, dass die Märkte 2023 von einem Rückgang der Inflation ausgehen. Die Zentralbanken dürften daher auch nicht mehr zu gleich drastischen Zinserhöhungen wie 2022 gezwungen sein, der Höhepunkt der Zinserhöhungen wird in etwa Mitte Jahr erwartet. Und darauf freuen sich die Börsen jetzt schon.